Institut für Deutsche Philologie
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Ausführliche Informationen zum Fachteil Linguistik

Was ist Linguistik?

Die Linguistik befasst sich mit der systematischen Erforschung einer Erscheinung, die für praktisch alle Begebenheiten unseres Lebens – Denken, Psyche, Kommunikation, Wissensgenerierung (und seine Vermittlung), Gesellschaft, Geschichte, Evolution – zentral ist: mit der menschlichen Sprache.
Im Hauptinteresse steht dabei, regelhafte Muster und Strukturen im Sprachsystem aufzudecken. Wie jede Wissenschaft geht die Linguistik davon aus, dass ihr Gegenstand eine Struktur und Gesetzmäßigkeit besitzt, die sich durch wissenschaftliche Verfahren erfassen und verstehen lässt. Dies ist ein deskriptives (beschreibendes) und explanatives (erklärendes) Ziel. Nicht zur Aufgabe der Linguistik zählt es dagegen, normativ (durch von außen gesetzte Regeln) in die Sprache einzugreifen.
Wenn wir zum Beispiel schriftliche oder mündliche Sprachdaten von SprecherInnen der deutschen Standardsprache analysieren, stellen wir fest, dass Verben in der 1. und 3. Person Plural dieselbe Form zeigen, in der 2. Plural eine andere (wir mach-en, ihr mach-t, sie mach-en). Die deutsche Standardsprache hat somit einen sogenannten zweistufigen Zweier-Plural. Norddeutsche Dialekte und auch einige Dialekte im Süden (z.B. Schwäbisch) zeigen dagegen einen Einer-Plural: wi mach-t, ji mach-t, se mach-t oder wi mach-en, ji mach-en, se mach-en, während Dialekte aus dem Wallis (Schweizer Alpen) über drei Formen im Plural verfügen: wier mach-e, ier mach-et, schi mach-und. Sinn der Linguistik ist nun nicht, vorzuschreiben, dass Verben immer wie im Standard in der 1. und 3. Person Plural mit en und in der 2. mit et gebildet werden müssen – Ziel ist es, zu verstehen, wie die beobachteten Unterschiede zustande kommen. Diese Variation können wir historisch erklären, denn im Deutschen des 9. Jahrhunderts lautete der Plural wir machōmēs, ir machōt, sie/sio/siu machōnt: wir mach-amēs, ir mach-et, siu mach-ant. Wir können also feststellen, dass sich in der deutschen Standardsprache das ursprüngliche Dreier-System auf ein Zweier-System reduziert hat. Weiter gegangen sind beispielsweise die oben genannten norddeutschen Dialekte, die über einen Einer-Plural verfügen, während Mundarten aus dem Wallis den Dreier-Plural erhalten haben.

Thematische Schwerpunkte

Zu den thematischen Schwerpunkten der Linguistik zählt in der Praxis eine Vielzahl unterschiedlichster Aspekte. Zunächst geht es um systematische Zusammenhänge innerhalb einzelner Sprachsysteme: Lautung, Bedeutung und Grammatik auf Wort- und Satzebene (und darüber hinaus). Im Rahmen der Sprachgeschichtsforschung steht darüber hinaus der Wandel von Sprachen über die Zeit im Vordergrund: Wann, warum und wie z.B. wird innerhalb von 1200 Jahren aus althochdeutschem hiu tagu ein modernes heute? Weiterhin sind psycholinguistische Aspekte relevant: Wie erwerben Kinder Sprache, wie ist sie mental repräsentiert, wie verlernen wir sie im Alter wieder? Warum wird aus es ist genau null Uhr bei einem Versprecher es ist genull nau Uhr und nicht irgendetwas beliebiges Anderes? Nicht zuletzt ist systematische Variation ein zentraler Untersuchungsgegenstand: Wie variiert Sprache in Abhängigkeit von sozialen und geographischen Bedingungen? Beispielsweise können wir folgende Sätze hören: a) da weiß ich nichts von, b) da davon weiß ich nichts, c) davon weiß ich nichts. Die geschriebene (nicht die gesprochene) Standardsprache lässt nur Variante c) zu. In der gesprochenen Standardsprache treten sowohl Variante a) als auch Variante b) auf, jedoch nicht in denselben Gebieten: Variante a) wird in der nördlichen Hälfte des deutschen Sprachgebiets verwendet, Variante b) in der südlichen Hälfte.

Methodik

Methodisch ist die Linguistik äußerst vielseitig und disziplinübergreifend (und in dieser Hinsicht für eine „Geisteswissenschaft“ untypisch). Sie nutzt nicht nur das Inventar einer Vielzahl sozialwissenschaftlicher und kognitionswissenschaftlicher Fächer – z.B. wenn es um die Erhebung von Daten geht –, sondern auch Verfahren, die aus unterschiedlichen Disziplinen wie der Philosophie, den Naturwissenschaften, der Informatik oder der Mathematik stammen.
Im Rahmen des Linguistikstudiums lernt man somit eine vielfältige, dabei aber eng verzahnte Mischung an unterschiedlichen wissenschaftlichen Methoden und Blickwinkeln kennen, die sich in manchen Belangen von den Herangehensweisen der anderen philologischen Studiengänge (und auch ihren direkten Nachbarfächern in der Germanistik) unterscheidet. Zentral ist zusätzlich die Verschränkung von Empirie und Theorie: Mittels empirischer Verfahren werden Beiträge zur Theoriebildung geleistet – umgekehrt werden theoretische Positionen über empirische Forschung erhärtet oder falsifiziert.

Germanistische Linguistik als Teilgebiet

Als Studienfach hat die Germanistische Linguistik eine doppelte Einbettung: Zum einen ist sie ein Teilfach innerhalb der Gesamtgermanistik und somit mit philologischen Fächern verbunden. Vor allem aber ist sie eine Spezialisierung der allgemeinen Linguistik. Die grundlegenden Fragen, Interessen und Verfahren ähneln sich zwischen sprachwissenschaftlichen Disziplinen (in Anglistik, Romanistik, Finnougristik, usw.) sehr stark: Die Germanistische Linguistik erhält ihre Eigenständigkeit durch ihren Betrachtungsgegenstand, nämlich die der deutschen Sprache inklusive ihrer Dialekte sowie ihrer älteren Stufen, und die exklusiven Beiträge, die sie anhand dieses Gegenstandes zur Klärung übergeordneter Fragen der allgemeinen Linguistik beitragen kann. Es zeigt sich deutlich, dass die Linguistik keine Fortführung des gymnasialen Deutschunterrichts an einer Universität ist: Ihre Inhalte, ihre Methoden und ihre Erkenntnisse sind für Studierende größtenteils neu.

Anforderungen und vermittelte Kompetenzen

Voraussetzungen, die für Studierende unabdingbar sind, beinhalten vor allem a) Neugierde auf einen ihnen bislang unbekannten Blickwinkel auf Sprache b) logisch-analytische Fähigkeiten sowie Abstraktionsvermögen sowie c) Interesse am Aufdecken und Erkennen von Mustern und Regularitäten.
Über die konkreten Inhalte zur Systematik der deutschen Sprache hinaus erwerben und vertiefen Studierende der Linguistik im Gegenzug Kenntnisse in systemischem und analytischem Arbeiten, in empirischen Grundlagentechniken wie Datenerhebung, Feldforschung und Auswertung sowie Interpretation dieser Daten – all dies unter Einbezug verschiedenster Bereiche außerhalb der traditionellen Geisteswissenschaften (wie z.B. der Soziologie, der Psychologie und der Naturwissenschaften).