Institut für Deutsche Philologie
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DFG-Netzwerk "Inklusive Philologie. Literary Disability Studies im deutschsprachigen Raum"

Am 1. Januar 2023 hat das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte wissenschaftliche Netzwerk „Inklusive Philologie. Literary Disability Studies im deutschsprachigen Raum“ (DFG-Projektnummer 509035805) seine Arbeit aufgenommen. Über einen Zeitraum von 36 Monaten wird sich das interdisziplinäre Netzwerk darum bemühen, die Perspektive der Literary Disability Studies im deutschsprachigen Raum weiter zu etablieren.

Literary Disability Studies

Als Lebenstatsache, von der Statistiken zufolge gegenwärtig ca. 15 % Prozent der Bevölkerung weltweit im Laufe ihres Lebens betroffen sind, hat die Darstellung und kulturelle Verhandlung von Behinderung seit je her Eingang in die Literatur gefunden. Zwar ist der Begriff ‚Behinderung‘ selbstjüngeren Datums, doch kennt die Weltliteratur literarische Repräsentationen verkörperter Differenz seit Anbeginn. Innerhalb der gesellschaftlichen und kulturellen Selbstverständigung über Phänomene von Behinderung nimmt die Literatur einen prominenten Platz ein, der von der germanistischen Forschung bisher nicht ausreichend untersucht worden ist. Auch die benachbarten Philologien in der deutschsprachigen Universitätslandschaft wie etwa die Romanistik, Anglistik oder Amerikanistik schenken der Thematik im internationalen Vergleich bisher zu wenig Aufmerksamkeit. Theoretisch fundierte Forschungsansätze der Disability Studies, die Behinderung als kulturelle und soziale Differenzkategorie betrachten, literaturwissenschaftlich zu profilieren und anzuwenden, ist das Ziel des wissenschaftlichen Netzwerks. Analog zu bereits etablierten differenztheoretischen Ansätzen wie den Gender Studies und den Postcolonial Studies sollen die Literary Disability Studies einen innovativen Beitrag zur theoretischen und literaturgeschichtlichen Weiterentwicklung der Literaturwissenschaften im deutschsprachigen Raum leisten.

Projektziele

Das Netzwerk verfolgt drei wesentliche, miteinander verbundene Ziele. Zum ersten bringt es an Fragen der Literary Disability Studies Interessierte in der Germanistik, Anglistik/Amerikanistik und Romanistik regelmäßig miteinander in Kontakt und etabliert einen strukturierten Arbeitszusammenhang. Zum zweiten erarbeitet es ein elaboriertes theoretisches Instrumentarium zur literatur- und kulturwissenschaftlichen Erschließung von Figurationen von Behinderung in literarischen Texten und anderen medialen Konfigurationen. Zum dritten werden literaturgeschichtliche Fallstudien insbesondere zur deutschsprachigen Literatur des achtzehnten Jahrhunderts, der Klassischen Moderne und der Gegenwartsliteratur unternommen, welche die vielgestaltige Repräsentation und Diskursivierung von Behinderung aufzeigen. Damit leistet das Netzwerk einen Beitrag zur theoretischen Profilierung der Literary Disability Studies einerseits und zur Revision des literarischen Kanons unter Disability-Gesichtspunkten andererseits.

 

Kontakt:
Prof. Dr. Klaus Birnstiel
Ludwig-Maximilians-Universität München
Department I - Germanistik, Komparatistik, Nordistik, Deutsch als Fremdsprache
Deutsche Philologie
Schellingstraße 3 RG
Raum 311
D-80799 München
klaus.birnstiel@lmu.de

Mitglieder und Kooperationspartner

Das Netzwerk versammelt Wissenschaftler:innen auf allen akademischen Stufen. Ihre fachlichen Hintergründe schließen (hauptsächlich) die Germanistik, aber auch benachbarte Philologien wie Anglistik/Amerikanistik und Romanistik, Theater- und Kulturwissenschaften sowie mit den Medical Humanities eine Brückendisziplin zwischen Kultur- und Naturwissenschaften mit ein.

  • Prof. Dr. Klaus Birnstiel, Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Deutsche Philologie, Vertretung des Lehrstuhls für Neuere deutsche Literaturwissenschaft mit Schwerpunkt Kulturtheorie
  • Dr. Johannes Görbert, Universität Freiburg/CH, Abteilung Medizin, Germanistik, Lehrstuhl für Medical Humanities (Mitverantwortlicher)
  • Prof. Dr. Susanne Hartwig, Universität Passau, Philosophische Fakultät, Romanistik, Lehrstuhl für Romanische Literaturen und Kulturen
  • Prof. Dr. Urte Helduser, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Institut für Germanistik, Professur für Deutsche Literatur der Neuzeit unter Einschluss der Literaturtheorie
  • Jan Hurta, Otto-Friedrich-Universität Bamberg, Graduiertenschule Literatur, Kultur, Medien, Germanistik
  • Prof. Dr. Dr. Martina King, Universität Freiburg/CH, Abteilung Medizin, Germanistik/Medizingeschichte, Lehrstuhl für Medical Humanities
  • Prof. Dr. Irmela Marei Krüger-Fürhoff, Freie Universität Berlin, Institut für deutsche und niederländische Philologie, Germanistik, Professur für Neuere deutsche Literatur
  • Dr. Linda Leskau, Technische Universität Dortmund, Institut für Diversitätsstudien, Germanistik
  • Dorothee Marx, M.A., Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Englisches Seminar, Amerikanistik
  • Dr. Nina Mühlemann, Hochschule der Künste Bern/CH, SNF-Forschungsprojekt „Ästhetiken des Im/Mobilen“
  • Prof. Dr. Tanja Nusser, University of Cincinnati/USA, Department of German Studies, Germanistik, Associate Professor, German Studies and Film/Media Studies
  • PD Dr. Christoph Schmitt-Maaß, University of Oxford/UK, Lincoln College, Germanistik, Montgomery DAAD Tutor and Fellow
  • Dr. Lisa Wille, Technische Universität Darmstadt, Institut für Sprach- und Literaturwissenschaft, Germanistik
  • Prof. Dr. Anita Wohlmann, University of Southern Denmark Odense/DK, Department for the Study of Culture, Amerikanistik, Associate Professor in Contemporary Anglophone Literature

Veranstaltungen

Im Rahmen der Netzwerkarbeit werden insgesamt fünf Veranstaltungen (drei Workshops und zwei Konferenzen) durchgeführt, die von der grundlegenden theoretisch-methodologischen Arbeit an Konzepten der Literary Disability Studies zu literatur- und kulturgeschichtlichen Aspekten führen.


„Literary Disability Studies im deutschsprachigen Raum“, 15.-17. Februar 2023, Technische Universität Dortmund

Im Februar 2023 hat sich das Netzwerk am Institut für Diversitätsstudien der Technischen Universität Dortmund getroffen. Wesentliches Ziel dieses ‚Kick-Off-Workshops‘ war die detaillierte Verständigung auf das Arbeitsprogramm der kommenden drei Jahre. Diskutiert wurden zentrale Texte eines international bereits in Umrissen erkennbar gewordenen Disability-Studies-Kanons ebenso wie wichtige Grundbegriffe des theoretischen Feldes.

Link zum Programm

 

„Literary and Cultural Disability Studies. British and Continental Perspectives“, 2.-4. November 2023, Universität Fribourg/CH

Im Zentrum der Konferenz steht die Schärfung des methodologischen und theoretischen Profils der Literary Disability Studies im deutschsprachigen Raum aus dem Dialog mit angelsächsischen Expert:innen heraus. Die Möglichkeiten theoretisch reflektierter Phänomenzugänge werden in Vorträgen und Plenardiskussionen erprobt. Primäres Ziel ist es, vermehrt Anschluss an die im englischsprachigen Raum bereits weit aufgefächerte Forschungsdiskussion zu gewinnen. Darüber hinaus werden Anpassungen und Ergänzungen des theoretischen Zugriffs mit Blick auf die Spezifika der deutschsprachigen kulturellen Überlieferung und Gegenwart einerseits und der bereits vorgeschlagenen Perspektiven der deutschsprachigen philologischen Fächer auf das Thema Behinderung andererseits diskutiert.

Informationen auf der Website des Lehrstuhls für Medical Humanities an der Universität Fribourg/CH

 

„Literarische Symbolisierungen von Behinderung: vom Drama der Aufklärung bis zur Literatur des Realismus“, 15. - 17. April 2024, Universität Greifswald

Das workshop-artig organisierte Arbeitstreffen fokussiert auf Basis der in den ersten beiden Veranstaltungen gewonnenen theoretisch-methodologischen Erkenntnisse in überwiegend germanistischer Perspektive auf einen Abschnitt in der Geschichte der (deutschsprachigen) Literatur, in welchem Behinderung oftmals als literarische Symbolisierung gesellschaftlicher, intellektueller und moralischer Problemlagen erscheint. Gegenüber einer bislang vorherrschenden, meist lediglich repräsentationalistischen Auffassung der Präsenz von Behinderung beispielsweise im Drama der Aufklärung werden komplexere Funktionalisierungsmodelle von Behinderung in Literatur erprobt und diskutiert. Unter anderem wird danach gefragt werden, wie frühneuzeitliche Vertextungen körperlicher Alterität und der Aufstieg des modernen Regimes der Gattung aufeinander bezogen sind.

 

„Im Zeichen des medizinischen Modells? Behinderung erzählen im 20. Jahrhundert“, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, 8./9. Oktober 2024

Das vierte Arbeitstreffen in Oldenburg spannt den historischen Bogen weiter in Richtung der (Erzähl-)Literatur der Moderne und Postmoderne. Hier lässt sich insbesondere eine literarische Arbeit am medizinischen Modell von Behinderung beobachten, die, im scharfen Kontrast zur antimodernen Literatur etwa während des ‚Dritten Reichs‘, als dessen kritische Dekonstruktion verstanden werden kann. So reagieren literarische Texte beispielsweise auf den nach dem Ersten Weltkrieg virulenten Prothetikdiskurs, indem sie dessen technizistische Verfasstheit aus (imaginierter oder tatsächlicher) Betroffenenperspektive heraus befragen, kritisieren und ergänzen. Literarische Texte nehmen somit eine Diskurskritik des medizinischen Modells von Behinderung vorweg, die theoretisch abzustützen den Disability Studies erst Jahrzehnte später gelungen ist. Das ebenfalls überwiegend germanistisch ausgerichtete Arbeitstreffen nimmt die moderne, antimoderne und postmoderne Literatur des 20. Jahrhunderts unter Disability-Studies-Gesichtspunkten von verschiedenen Winkeln her in den Blick.

 

Fünftes Treffen/Abschlussveranstaltung: Ringvorlesung „Gegenwart und Zukunft von Dis/Ability. Literatur, Kunst und Medien im Zeichen von Behinderung“, FU Berlin, Sommersemester 2025 / Arbeitstreffen und Kulturveranstaltung, Oktober 2025

Am Abschluss der Netzwerkarbeit steht die Beschäftigung mit der ästhetischen und diskursiven Verhandlung von Behinderung in Literatur, Kunst und Medien des 21. Jahrhunderts. Der im Rahmen der Netzwerk-Arbeit geschärfte theoretische Zugriff wird auf die vielfältigen Figurationen und Diskursivierungen von Behinderung gerichtet, die die literarischen und kulturellen Landschaften der Gegenwart durchziehen. Organisatorisch wird hierbei ein Dreischritt aus Ringvorlesung, wissenschaftlichem Abschlusstreffen und Kulturveranstaltung gewählt. Damit werden die erzielten Forschungsergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt und deren Übertragbarkeit in die akademische Lehre und Didaktik verdeutlicht.